Tag 13 im Corona-Land. Die Ausgangsbeschränkungen werden von einem Großteil der Bevölkerung eingehalten. Der Individualverkehr und die Benutzer der öffentlichen Verkehrsmittel haben sich drastisch verringert. Die Straßen und Orte scheinen zu verwaisen. Nichts, was nicht unbedingt zum Leben notwendig ist, soll laut der letzten Verordnung der Regierung unterlassen werden.
Das gesamte Leben fokussiert sich auf den eigenen Wohnbereich. Die eigenen vier Wände sind zum sicheren Hafen im verseuchten Corona-Land geworden und führten in den ersten Tagen zu einer angenehmen Verlangsamung des Lebens. Die ganze Hektik, der Alltagsstress, war von heute auf morgen verschwunden. Der einst so sehnliche Wunsch vieler Menschen - Entschleunigung - musste von einem Tag auf den anderen in die Tat umgesetzt werden. Eine radikale Veränderung, eine drastische verordnete Maßnahme, zur Eindämmung der Krise, die eine globalisierte und vernetzte Welt fast zeitgleich in Untätigkeit versetzt. Notmaßnahmen zur Eindämmung der Infektionen sind erwünscht oder werden befohlen, während die gewohnte Freiheit des Einzelnen Schritt für Schritt gegen null geht. Für ein gesundes Kollektiv ist es unweigerlich notwendig geworden, seine Individualität in sehr vielen Bereichen des Lebens auf bestimmte Zeit zu opfern.
Obwohl der Wunsch nach Entschleunigung so wichtig schien, wird mit zunehmender Dauer der Ausgangsbeschränkungen, der Drang nach mehr Freiheit immer stärker. Wie schön war es früher, als ich in meiner Freizeit, die zugegeben sehr rar war, tun und lassen konnte, was ich wollte. Wenn ich den Wunsch nach einem ausgedehnten Spaziergang hatte, machte ich einen. Wenn ich zum See fahren wollte, stieg ich ins Auto und fuhr hin. Es gab kein Nachdenken, keine Angst vor Einschränkungen, keine Angst vor Infektion oder anderen Menschen, die eine anstecken könnten. Ich hatte die Macht mit meiner Freizeit zu machen, was immer ich wollte. Heute, genau in diesem Moment, ist alles anders - ich darf nur das machen, was eine gesetzliche Verordnung zulässt. Es führte meines Erachtens kein Weg an dieser Verordnung vorbei, sie war und ist richtig, aber dennoch hat diese Regelung das Leben aller, die den Ernst der weltweiten Lage erkannt haben, verändert. Natürlich gibt es auch in Zeiten wie diesen Menschen und Firmen, die glauben gegen alles immun zu sein, aber auch diese Minderheit, wird hoffentlich den Sinn für die Allgemeinheit bald erkennen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass es nach wie vor sehr mächtige Staatsmänner gibt, die behaupten, dass der drastische Klimawandel nicht existiert, noch von Menschenhand verursacht wurde.
Jetzt ist es auch bei mir soweit. Die eigenen Wände scheinen mich zu erdrücken. Ich will den goldenen Käfig, den sicheren Hafen, verlassen. Noch keimen die einen oder anderen Zweifel in mir hoch, doch der Drang einen Teil meiner Freiheit, und sei es nur für diesen einen Lebensmitteleinkauf, wiederzuerlangen, lassen jeden Zweifel verblassen. Schnellen Schrittes gehe in den Schrankraum und ziehe mir eine alltagstaugliche Kleidung an. Ich denke mir, so viel Zeit muss sein, auch wenn ich fast keine Menschenseele antreffen werde. Auch in Corona-Zeiten bleibe ich meinen Prinzipien treu und finde, dass eine Jogginghose selbst zum Einkaufen ein “No Go” ist. Nun gehts zur Haustüre und ich stehe vor der Schwelle der Entscheidung.
Während mein Herzschlag schneller wird, ergreift meine Hand zögerlich die Türklinke. Was wird mich hinter dieser Türe erwarten? Wie sehr hat sich die Welt in 13 Tagen verändert? Unsinnige Gedanken jagen durch meinen Kopf. Gedanken eines Killervirus, das hinter der Eingangstür auf sein nächstes Opfer wartet, um dieses anzuspringen und zu infizieren. Warum entwickeln sich in unserem Kopf solche schrägen Gedanken? Verlieren wir alle schön langsam den Hausverstand. Sachlich betrachtet ist dieser Virus lediglich eine weitere Art eines Coronavirus, welcher größtenteils durch direkten Menschenkontakt bzw. Tröpfcheninfektion verbreitet wird. Es ist kein Ebola, geschweige ein Killervirus aus geheimen Laboren der Geheimdienste ...
Langsam drücke ich die Klinke nach unten und öffne unsere Haustüre einen ersten kleinen Spalt. Noch bin ich sicher, noch bin ich im eigenen Haus. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und öffne die Tür bis auf Anschlag. Nichts passiert. Nichts ist geschehen.
Die Vögel zwitschern und singen ein Loblied auf den Frühling. Die Sonne lacht vom wolkenlosen Himmel. Das Gras färbt sich langsam vom kahlen Braun in ein frühlingshaftes Grün. Ich mache einen Schritt vor die Haustüre und spüre, wie sich ein Gefühl der Freiheit in meinem Körper ausbreitet. Ich inhaliere saubere, reine und kühle Luft. Ich fühle mich lebendig, mit der Erde verbunden und motiviert, wie schon seit vielen Tagen nicht mehr. Die Welt und ihre Regeln haben sich schlagartig und auf unbestimmte Dauer geändert, doch noch nie zuvor bin ich der Natur mit so viel Achtsamkeit begegnet. Wenn wir uns alle an die Spielregeln halten, das Miteinander höher bewerten als das Gegeneinander und für kurze Zeit das Wort "Umsatzwachstum" ausblenden können, werden wir auch diese Krise überwinden und gestärkt aus ihr hervorgehen.
In diesem Sinne - bleibt gesund. Wir schaffen das!
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Ute (Mittwoch, 01 April 2020 17:13)
Dieser Artikel spricht mir aus der Seele � und übrigens super geschrieben �